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Nachschrift zu diesem Protest 1960
Der Inhalt dieses Protestes, der nach dem 10. Mai 1933 in der Presse der ganzen Welt erschien, berichtet über die Fakten, die dazu Anlaß gaben. Die Folge davon war, daß die Münchner Studenten im Beisein der Professorenschaft meine Bücher in der Aula der Münchner Universität verbrannten. Im Juni des gleichen Jahres wurde ich von der Hitlerregierung „aus dem deutschen Reich ausgebürgert“ und lebte 25 Jahre lang als paßloser Emigrant und Staatenloser in den Ländern meines Exils. Erst im März 1958 erhielt ich die USA-Bürgerschaft.
Heutzutage, da fast jeder Mensch davon überzeugt ist, daß in den letzten Jahrzehnten alle Politik Bankrott gemacht hat, empfindet man sicherlich Bezeichnungen wie „entschieden sozialistisch“ oder „sozialistische Genossen“ als längst überholte, inhaltlose Phrasen, oder man versteht darunter etwas politisch höchst Anrüchiges, das man, schon rein aus Gründen des privaten Fortkommens, energisch ablehnt. Bei einer Gesellschaft, welche mit aller Hartnäckigkeit bemüht ist, die durch barbarische Diktaturen erzeugte Entmenschlichung unseres gesamten Lebens hinzunehmen oder zu vergessen, ist das weiter nicht verwunderlich. Eine solche Gesellschaft gebärdet sich, je nach dem Machtbereich, in welchem sie sich befindet, konformistisch oder nonkonformistisch, was im Grunde auf das gleiche hinausläuft. Keiner nämlich glaubt mehr an das, was er sich vormacht, und paßt sich der jeweiligen Situation an. Dazu kommt nunmehr seine dauernde Angst vor dem unerwarteten Atomtod, die ihn gänzlich zukunftslos gemacht hat, so daß er sich nur noch dem leeren Sichgehenlassen und der hektischen Jagd nach dem ablenkenden Augenblick ergibt, weil ihm alles andere unwichtig und sinnlos erscheint. In diesem Zustand fällt es ihm um so leichter, sich jeder Selbstverantwortung zu entziehen.
Ich war nie Parteisozialist und habe mir nicht erst von marxistischen Schriftgelehrten sagen lassen müssen, was Sozialismus ist. Mir ist – um mit Gorki zu reden – „mein Sozialismus von Kind an auf den Rücken geprügelt worden“. Das hat mich – nicht etwa aus einem inneren Wagnis, sondern gleichsam instinktiv und zwangsläufig – zum Rebellen gemacht, über dessen Wesen ich mir längst vor Camus Klarheit verschafft habe. Der Rebell bedarf keiner sozusagen moralischen Zurede von anderer Seite, er handelt nicht nach dem Rezept einer politischen Überzeugung, die ihm von irgendwelchen politischen Ideologen oktroyiert worden ist, sondern einzig und allein aus einer grundmenschlichen Empörung gegen jeden Mißbrauch der Schwächeren durch die Stärkeren, aus der erlittenen Einsicht, daß Unrecht und Unmenschlichkeit, niederträchtiger Massenbetrug und chauvinistische Völkerverhetzung gemeine Verbrechen asozialer Machthaber sind. Das macht ihn zum Sozialisten, denn kein Mensch kann schließlich allein und für sich wirken, und bei allem provokativen Einzelgängertum, das ihn kennzeichnet, wird die Grundhaltung des Rebellen doch von dem unzerstörbaren Glauben an die Solidarität der Gleichen bestimmt. Mehr als für jeden anderen Menschen besteht für ihn die unabweisbare Verpflichtung, zu jeder Zeit und mit allen seinen Kräften dafür einzustehen und zu kämpfen, was im Grunde genommen alle wahrhaft sozialistischen Parteien erringen wollen: eine Gesellschaftsordnung, in welcher der einzelne und die Völker das gleiche Recht erhalten, in Freiheit und Frieden am Aufbau einer glücklichen Welt mitzuwirken. Danach habe ich stets zu handeln versucht, und jeder, der dafür kämpfte – ganz gleich, ob er sich nun Kommunist, freier Sozialist oder Sozialdemokrat nannte -, war und ist für mich ein „Genosse“. Dafür haben viele meiner Freunde, und nicht nur Arbeiter, sondern Geistige, gläubige Christen und Priester, die Folterungen in den Konzentrationslagern oder den Märtyrertod erlitten. Dies je zu vergessen, hielte ich für einen schamlosen Verrat.
in: Hans Dollinger: Das Oskar Maria Graf Lesebuch, München (List) 1993, S. 84 ff.