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Dialekt und Humor
Graf hat immer wieder über Dialekt und Humor nachgedacht, sie bestimmen manche seiner Werke.
Um einem nichtbayrischen Menschen unseren Humor auch nur halbwegs begreiflich zu machen, dazu muß man im Erklären ein bißchen weitschweifig sein. Weitschweifigkeit oder, besser, das langsame, leicht umständliche Heranpirschen an das Eigentliche einer Sache gehört zu unserer Natur. Alles Knappe, logisch scharf Umrissene ist uns zuwider. Wir sind für das Kommode. ‚Kamott’, wie wir es aussprechen, heißt soviel wie sich in allem gemütlich Zeit lassen und das zuträglich Behagliche voll auskosten. Meistens springt dabei sogar ein Vorteil für uns heraus, und wenn es auch nur der ist, daß ein anderer Mensch sich darüber ärgert oder nervös wird. Ein ‚kamotter’ Mensch mag das Durchdenken, das in heutigen Zeiten so beliebte Zu-Ende-Denken nicht, er ist für das Betrachterische. Das hängt vielleicht mit unserer weltberühmten Kunst, dem ‚Bayrischen Barock’ zusammen, bloß, meine ich immer, daß ‚barock’ überhaupt eine persönliche Veranlagung jedes einzelnen Bayern ist. [. . . ]
Bayrischen Humor gibt es allerdings zweierlei: den, über welchen die Eingesessenen lachen und jenen, den die Fremden an uns belachen. Der erstere beruht auf unserer scheinbaren Unlogik und auf der Langsamkeit im Begreifen. Bei der Beurteilung des letzteren bin ich nicht kompetent. (Etwas über den bayrischen Humor. In: An manchen Tagen 1961)
Eine echte Münchner Rache sieht so aus: Ich sitze in der Straßenbahn neben einem offensichtlichen Preußen. Ein Arbeiter steigt ein und tritt ungeschickterweise dem Preußen auf die Füße.
„Oha, entschuidig’ns!“ sagt der Arbeiter beinah erschreckt und setzt sich schnell rechter Hand neben dem Preußen nieder. Der aber fängt scheppernd zu schimpfen an, schimpft und keift, daß es eine wahre Schand’ ist. Direkt aufsässig wird er. Alle ärgern sich über dieses Plärren, ich, die anderen Fahrgäste, sogar der Schaffner. Nur einer bleibt stockstumm und ruhig: der Arbeiter.
Grade diese Unbeweglichkeit treibt aber den Preußen immer mehr hinauf. Er wird kühn und immer kühner. Schier schon spannend ist’s. Wir alle warten, ob der Arbeiter – nebenbei gesagt, ein Mordstrumm Mannsbild – nicht plötzlich ausholt und dem Polterer eine langt. Aber nein, nein. Absolut nicht. Der Beschimpfte bleibt bei seinem Pazifismus. Endlich am Marienplatz steigt der Preuße aus. Noch während des Hinausgehens keift er. Jeder Mensch im Wagen ist bereits grantig. Wie die Trambahn ohne den Preußen endlich anfährt – allgemeines, verwundertes Mustern des Arbeiters. Schließlich fragt der Schaffner leger: “No, also, dös ist doch scho die höhere Frechheit! . . . Warum hobn S’ eahm (ihm) denn gor so stad (still) zuagschaugt, Herr Nachbar? . . . I hätt’ eahm direkt oane gstiert (eine hineingehauen) . . . “
Indessen der mordsmäßig einheimische Arbeiter hebt bloß sein unergründliches Gesicht und sagt, indem er einen neuen Zug seiner Zigarre nimmt: “ I hob eahm ja mit meina Zigarrn a Loch in sein Mantl brennt . . . dös glangt aa . . .!“ (Etwas wie ein „Antlitz“. In: Notizbuch des Provinzschriftstellers Oskar Maria Graf 1932.)